Rotkelchenpost
Montag, 26. Mai 2025
Tisch
Freitag, 6. Juni 2025
Rotkelchenpost
Montag, 26. Mai 2025
Tisch
Freitag, 6. Juni 2025

Sehr geehrte Schulleitung der Zwischenräume,

ich bin das kleine Mikro.

Ich bin keine Stimme. Ich bin das, was passiert, bevor eine Stimme sich zeigt. Ich lebe in der Kehle, aber nur, wenn sie einverstanden ist. Ich bin am liebsten dort, wo Menschen nicht schreien müssen – aber dürfen.

Ich habe keinen eigenen Körper, denn ich möchte mit euren Schülern schwingen, nicht über ihnen stehen. Mein Fachgebiet ist das Lauschen nach innen. Ich bin spezialisiert auf leise Töne, Mutanfälle und das Vibrieren zwischen zwei Gedanken.

Wenn Sie mich einstellen, verspreche ich, nicht zu stören – es sei denn, jemand muss gehört werden. Dann werde ich mich mit ganzer Kraft an die Stimmbänder hängen und flüstern, brummen oder singen, was gesagt werden muss.

Ich bin bereit, mich in alle Räume zu legen, wo jemand sagen will: „Ich bin da.“

In Schwingung,
das kleine Mikro

Anhang: Lebenslauf in Klangwellen

Geboren in einem Raum mit Nachhall.
Erste Töne: ein leises Atmen, kaum hörbar.
Kindheit in Zwischenräumen, wo Stimmen zögerten.
Ausbildung in stillen Nächten, zwischen Musik, die nicht gehört werden wollte.
Erfahrung mit Verzerrung, Rückkopplung, Verstummen.
Besondere Fähigkeit: feine Ohren für leise Signale und gebrochene Frequenzen.
Berufung: Mut machen. Klangräume öffnen. Zuhören.

Referenzen:
– eine Kehle, die sich traute
– ein Brustkorb, der endlich mitschwang
– ein Ohr, das nicht mehr zuckte

Ziel: Resonanz. Nicht Perfektion. Verbindung. Nicht Lautstärke.

__________________

Die Schulleitung liest die Bewerbung, nickt einmal langsam, rückt die Brille zurecht – und fragt dann schlicht in einem neuen Schreiben:

„Hast du ein Beispiel, wie du arbeitest?“

Und daraufhin beginnt das kleine Mikro, erst etwas unsicher, mit seiner Geschichte.

__________________

Nachtrag zur Bewerbung
(im Sekretariat abgegeben, weil er sich nicht getraut hat, direkt zu sprechen)

„Also… ich wollte noch was erzählen. Wegen dem, wie ich arbeite.

Es war… still.

Ein Faun, allein im Wald. Er hatte eine Flöte in der Hand, aber sie klang nicht. Irgendetwas fehlte.

Und ich war auch da. Ganz klein. Ohne Körper. Nur als Lauschen.

Ich weiß nicht, wie ich’s gemacht hab – ich hab einfach mitgeschwungen. Nur ein bisschen. Ganz leise.

Und dann hat er mich gespürt.

In dem Moment… bekam ich Federn.
Gelbe und blaue. Und Flügel.

Ich bin auf seiner Hand gelandet. Und er hat nicht gezuckt.

Da war zum ersten Mal Resonanz. Nicht nur Schall. Sondern ein wirklicher Ton.

So hab ich meinen ersten Körper bekommen.

Leihweise. Nur für diesen Moment. Aber seitdem weiß ich: Wenn ich mich in den Kontakt traue, findet mein Klang eine Gestalt.“

Kim

Es können keine Kommentare abgegeben werden.